Knowledge4Retail
Mit digitalen Zwillingen den Handel unterstützen
Knowledge4Retail (K4R) bringt mithilfe einer Plattform die Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI)und den Einsatz von Servicerobotern im Einzelhandel in Deutschland voran. Dabei dienen sogenannte „semantische digitale Zwillinge“ (semdZ) von Filialen als Grundlage für neue Anwendungen. Einzelhandelsunternehmen erhalten mit der K4R-Technologie die Möglichkeit, ihr Sortiment noch besser an den Wünschen ihrer Kundinnen und Kunden auszurichten und die Verbindung von On- und Offline-Shopping noch effektiver zu machen. So können Services etwa das Verhalten der Kundschaft in den Läden analysieren und darauf basierend die Platzierung von Waren hinsichtlich Sichtbarkeit und Erreichbarkeit optimieren. Andere Services sollen die automatisierte Inventur und Regalbefüllung mit Hilfe von Servicerobotern ermöglichen. So wird der stationäre Einzelhandel in Deutschland langfristig gestärkt.
Partner
team neusta GmbH (Konsortialführer), Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH, dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, dmTECH GmbH, EHI Retail Institute GmbH, fortiss GmbH, Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung eingetragener Verein, Nagarro AES GmbH, neusta GmbH, neusta analytics & insights GmbH, TeamViewer Germany GmbH, Universität Bremen, Technische Universität München, Technische Universität Wien.
Herausforderung
Der stationäre Einzelhandel hat in den letzten Jahren aus der Sicht vieler Konsumentinnen und Konsumenten gegenüber dem Online-Handel an Attraktivität verloren. Dies liegt neben dem stark wachsenden Angebot im Online-Handel insbesondere daran, dass das Einkaufserlebnis und die Serviceleistungen der digitalen und der analogen Welt stark voneinander abweichen. So fragen Kundinnen und Kunden heute z. B. nach individuelleren Beratungs- und Serviceleistungen – und das möglichst jederzeit und kostengünstig. Die zentralen Herausforderungen im stationären Einzelhandel liegen dabei nicht nur in der Erhebung und der Verfügbarkeit entsprechender Daten, sondern vor allem auch in deren intelligenter Nutzung, um bessere Entscheidungen zu treffen. Aktuell kommt es in der Praxis noch häufig zu verzögerten strategischen Entscheidungen, da lediglich auf die Geldtransaktionsdaten zurückgegriffen werden kann. Es fehlen hingegen Daten zu den physischen Positionen der Artikel und Regale in den Verkaufsräumen, um etwa das Produktsortiment oder die Preise individueller anzupassen und dadurch letztlich die Verkaufszahlen sowie die Umsätze zu erhöhen. Hier setzt K4R an und schafft umfassende digitale Modelle von Filialen und Verkaufs- und Betriebsprozessen. Durch die Zusammenführung verschiedener Datenquellen auf der K4R-Plattform kann das KI-Projekt Licht in die „Black Box“ bringen, die jede Einzelhandelsfiliale in Hinblick auf ihren wirtschaftlichen Betrieb häufig noch darstellt.
Umsetzung
Für das Projekt haben sich Partner aus den Bereichen Handel, IT und Forschung zusammengetan. Das gemeinsame Ziel besteht darin, eine Open-Source-Plattform zu entwickeln, die als Kern sowohl für komplexe KI- als auch für Robotik-Anwendungen in der Filiale dient.
Grundlage der Plattform sind semantische digitale Zwillinge – digitale Modelle von realen Geschäften, die verschiedene Daten einer Einzelhandelsfiliale in sich vereinen. Dafür wurde ein Datenformat für die digitale Darstellung vom Aufbau und den Prozessen von Einzelhandelsfilialen entwickelt. Innovativ ist hierbei, dass für die Modelle nicht nur entsprechende Daten gesammelt werden, sondern diese Daten darüber hinaus semantisch miteinander verknüpft werden. Als Datengrundlage dienen z. B. Daten aus Sensoren der Filialen oder ERP-Systemen, die mit weiteren Informationssystemen, wie digitalen Produktkatalogen, angereichert werden. Ergänzt werden die Daten durch möglichst viele Daten aus dem Umfeld der Filialen, wie z. B. Geodaten, um ein breites Angebot an KI-Anwendungen zu ermöglichen. Durch die Standardisierung der Datenaustauschformate ist ein Zusammenspiel von Datenlieferanten und Lösungsanbietern möglich. Auf Grundlage dieses entstehenden Ökosystems können Entwicklungsteams ihre KI-Anwendungen verbessern oder mit Anwendungen anderer Anbieter zu neuen KI-Anwendungen kombinieren. Zudem können Handelsunternehmen ihre semantischen digitalen Zwillinge zur einfachen Integration von autonomen Servicerobotern nutzen. Diese navigieren dann auf Grundlage der digitalen Modelle eigenständig in den Filialen und spielen gleichzeitig neue Sensorinformationen an die Plattform zurück.
Nach dem Ende des Förderzeitraums am 31.12.2022 wird das K4R-Ökosystem Teil des EHI Retail Institute. Das EHI ist exzellent in der Einzelhandelsbranche vernetzt und das aktuelle Projekt-Konsortium erhofft sich dadurch ein weiter wachsendes Ökosystem - auch über das Ende des Förderzeitraums hinaus. Um dies zu erreichen, sollen beispielsweise regelmäßige Veranstaltungen organisiert werden, bei denen Einzelhändler, Lösungsanbieter sowie Integratoren sich über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen digitaler Zwilling, KI und Robotik austauschen können. Dadurch entsteht die Möglichkeit, das K4R-Ökosystem zu erweitern oder auch neue Projekte zu akquirieren, über die die K4R-Plattform weiterentwickelt werden kann. Zudem wird der Code sowie entsprechende Dokumentationen der K4R-Plattform quelloffen zur Verfügung gestellt, sodass die Projektergebnisse von Unternehmen als auch von Forschungseinrichtungen genutzt und weiterentwickelt werden können.
Anwendung und Nutzen
Die entstehende Knowledge4Retail-Plattform soll mit Hilfe standardisierter Datenformate, Schnittstellen und Lösungen, die Verbreitung und Entwicklung KI-gestützter Hard- und Software-Services im Einzelhandel vorantreiben. Die Plattform richtet sich an sämtliche Teilmärkte der Handelsbranche, wie z.B. Drogerien, Supermärkte, Bekleidungsgeschäfte oder Baumärkte.
Intelligente Intralogistik
Aktuell fallen im Rahmen der Intralogistik durchschnittlich 48 Prozent der gesamten Logistikkosten an. Dies resultiert daraus, dass die Kernprozesse, wie z. B. das Auffüllen von Regalen geprägt sind durch lange Laufwege und hohe Suchaufwände. Diese Prozesse werden bisher meist manuell und mit keiner oder wenig digitaler Unterstützung ausgeführt. Auf Basis des semantischen digitalen Zwillings von Einzelhandelsfilialen wird der intralogistische Ablauf vom Lager bis in das Regal mit KI-Anwendungen optimiert. Der semdZ kann den exakten Warenbestand und Standort für die Platzierung neu gelieferter Waren wiedergeben. KI hilft dabei, die Waren für jeden Verkaufsflächenabschnitt intelligent zusammenzustellen, damit das Verstauen effizienter wird. Zudem werden leere Regale ermittelt, die dann priorisiert eingeräumt werden. Die semantischen digitalen Zwillinge helfen außerdem, Angebote wie “Click & Collect” zu optimieren, also die Abholung von Kundenbestellungen im Laden. Darüber hinaus unterstützt eine Pointereinheit die Filialmitarbeitenden bei der Verräumung. Dabei wird der Barcode eines zu einzuräumenden Produkts mit einem Ringscanner gescannt und die Pointereinheit, die sich basierend auf dem digitalen Zwilling in der Filiale orientieren kann, zeigt den richtigen Standort in einem Regal an.
Strategisches Handelsmarketing zum Aufbau kundenindividueller Filialen
Um mit dem Online-Handel Schritt zu halten, muss der stationäre Handel seine Produkte stärker auf die lokalen Kundenbedürfnisse zuschneiden. Es werden zwar häufig standardisierte Planogramme vorgegeben, allerdings sind diese z. B. aufgrund baulicher Gegebenheiten meist nicht exakt einzuhalten. Durch neu entwickelte KI-Algorithmen wird eine optimierte Zusammenstellung des Filialsortiments vorgeschlagen. Durch kontinuierliche Updates des semdZ jeder Filiale werden die Ergebnisse der KI-Methoden stetig verbessert.
Service-Robotik für die Unterstützung der Filialmitarbeiter
Um Mitarbeitende in der Intralogistik zu entlasten, wird ein autonomer Roboter entwickelt, der im Lager bestückt werden kann und selbstständig zum Zielregal fährt, um dort von Mitarbeitenden entladen zu werden. Für die Navigation greift der Roboter auf die Daten der digitalen Zwillinge zurück.
Internet of Things (IoT)-Anbindung eines intelligenten Kühlschranks
Die Übertragbarkeit der K4R-Plattform auf andere Branchen wird am Beispiel eines intelligenten Kühlschranks in der Warenwirtschaft demonstriert. Der intelligente Kühlschrank interagiert mit der K4R-Plattform und kann bargeldlos per App, Kundenkarte, Kreditkarte oder Mitarbeiterkarte geöffnet werden. Durch den Einsatz von Sensoren ist er dazu in der Lage, seinen Warenbestand selbstständig zu erkennen, zu verfolgen, zu verwalten und zu verkaufen und demonstriert damit das Zukunftsszenario von vollautomatischen Verkaufskonzepten. Somit kann beispielsweise die Nachfüllung durch Echtzeit-Warenbestandsverwaltung und Fulfillment-Planung verbessert und das dynamische Verhalten von Kundinnen und Kunden mithilfe von KI analysiert werden.
Ohne K4R | Mit K4R |
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Im stationären Handel gibt es Informationen aus verschiedensten Sensoren. Allerdings können die erfassten Daten nicht intelligent verknüpft werden. | Durch die Entwicklung eines digitalen Zwillings wird eine Filiale vollständig mit ihren Daten abgebildet. Das wird mithilfe der Plattform ermöglicht, die in der Lage ist, diverse unterschiedliche Sensordaten (u. a. von stationären oder mobilen Kameras, Laserscannern, VR/AR-Brillen, Barcodescannern) zu verarbeiten und zu verknüpfen. |
In der Handelsbranche gibt es keine einheitliche Plattform, die unterschiedliche Software-Anwendungen bereitstellt. | Bereitgestellt wird eine offene, erweiterbare und übertragbare Plattform für die ganze Handelsbranche. Die K4R-Architektur ermöglicht eine modellgetriebene Softwareentwicklung, in der möglichst alle Informationen in formalen Modellen abgebildet werden. |
Inventuren sind gesetzlich vorgeschrieben. Die Durchführungen sind aufwendig, da viel Personal eingesetzt werden muss. | Durch die innovative Erfassung von physischen Produktdaten und KI-Verfahren können die Bestandsqualität, also kontinuierliche Erfassung des Warenbestands, erhöht und Inventuren unterstützt werden. |
Der Einsatz von Assistenzsystemen ist aufwendig und kostenintensiv. | Auf Grundlage der semdZ können technische Assistenzsysteme, wie Wearables und Servicerobotik, einfacher und kostengünstiger in die Filialprozesse integriert werden. |
Auswahl an wissenschaftlichen Publikationen im Kontext und zu K4R
Kiru-Park, Timothy Patten and Markus Vincze:
“Neural Object Learning for 6D Pose Estimation Using a Few Cluttered Images”
Böttcher, Timo Phillip and Weking, Jörg:
“Identifying Antecedents and Outcomes of Digital Business Model Innovation” (2020). ECIS 2020 Research-in-Progress Papers. 24.
Böttcher, Timo Phillip; Rickling, Lukas; Gmelch, Kristina; Weking, Jörg; and Krcmar, Helmut:
“Towards the Digital Self-Renewal of Retail: The Generic Ecosystem of the Retail Industry” (2021). Wirtschaftsinformatik 2021 Proceedings. 4.
Böttcher, Timo Phillip; Bootz, Valentin; Zubko, Tetiana; Weking, Jörg; Böhm, Markus; and Krcmar, Helmut:
“Enter the Shark Tank: The Impact of Business Models on Early Stage Financing” (2021). Wirtschaftsinformatik 2021 Proceedings. 6.
Böttcher, Timo Phillip; Phi, Duc Anh; Floetgen, Rob Jago; Weking, Jörg; and Krcmar, Helmut:
“What Makes an Innovative Business Model? Evidence From the 70 Most Innovative Firms” (2021). AMCIS 2021 Proceedings. 4.