Meldung
29.08.2022
"Nicht irgendwann in Zukunft, sondern jetzt"
Digitalisierung und Klimaschutz scheinen zusammenzugehören. Die Nutzung technologischer Innovationen führt vielerorts zu Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung. Die Kehrseite der Medaille: Auch digitale Technologien verbrauchen wertvolle Ressourcen. Wir sprechen mit Prof. Dr. Claudia Kemfert über diesen vermeintlichen Dissens.
Frau Professor Kemfert, Klimaschutz und Digitalisierung sind die wichtigsten Themen unserer Zeit. Wie gehört beides für Sie zusammen?
In der Tat: Klimaschutz und Digitalisierung gehören zusammen und stehen nicht etwa in Konkurrenz. Digitalisierung ist das Schlüsselinstrument, um Energie und Rohstoffe einzusparen, indem Prozesse, Abläufe und Produktionsverfahren effizienter gestaltet werden. Online-Meetings sparen Energie und Emissionen, die bei einer Reise entstanden wären. Mobilitäts-Apps verknüpfen ÖPNV, Carsharing, Rad- und Fußwege und zeigen effiziente, energiesparende und emissionsarme Wege ans Ziel. Und in der Energieerzeugung wird mittels intelligentem Energie- und Lastmanagement gesteuert und durch Smart Grids und Smart Meter eine effiziente und energiesparende Versorgungssicherheit ermöglicht. Zugleich benötigen digitale Technologien selbst auch erhebliche Energie. Doch das lässt sich durch effizienz-orientierte Programmierungen und nachhaltige Produktionsweisen optimieren. Nutzt man dafür dann noch Ökoenergie, bleibt der CO2-Fußabdruck klein.
Die Nutzung und Verarbeitung von Daten benötigt viel Energie; auch für die Hardware werden wertvolle Ressourcen verbraucht. Wie können wir diesen Dissens zwischen Digitalisierung und Klimaschutz auflösen?
Hier muss keineswegs ein Dissens vorliegen, wenn die richtigen Rahmenbedingungen existieren. Dafür gelten drei Maßstäbe:
1. Ressourceneffizienz sowie die Einhaltung von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Sozialstandards beim Abbau von Rohstoffen: Es gibt große Potenziale von Materialeinsparung und Sekundärrohstoffnutzung. Um sie zu heben, braucht es verbindliche Vereinbarungen und Programme. 2. Recycling und konsequente Kreislaufführung: Hierauf muss, weil dringend nötig, der Fokus gerichtet werden. Dann sind viel höhere Recyclingquoten möglich. 3. Verzicht oder zumindest sehr sparsamer Umgang mit Rohstoffen und seltenen Erden: Technologischer Fortschritt und Wert entsteht nicht mehr durch höher, schneller, weiter, sondern vor allem durch den sparsamen und effizienten Umgang mit Rohstoffen und Energie.
Welche Technologien sind in puncto Klimaschutz aus Ihrer Sicht vielversprechend?
Elektromobilität wird im Klimaschutz und im Zuge der Energiewende eine zentrale Rolle spielen. Das liegt zunächst an ihrer enormen Effizienz, denn ihre Wirkungsgrade sind viel höher als die aller anderen Antriebstechnologien. Das bedeutet: Der Anteil von zugeführter Energie, die in nutzbare Energie umgewandelt wird, ist im Vergleich deutlich geringer. Das hat auch Auswirkungen auf den Bedarf an Rohstoffen, aus denen Energie gewonnen werden kann. Dank Elektromobilität kann sich dieser sogenannte Primärenergiebedarf halbieren. Zudem kann hier der Ökostrom direkt genutzt werden, also ohne komplizierte und teure Umwandlung, etwa in Wasserstoff. Auch die Emissionen sind viel geringer als beispielsweise von E-Fuels oder anderen Treibstoffen. Und schließlich können Batterien von E-Autos gleichzeitig als Speicher für schwankende erneuerbare Energien genutzt werden und so das dezentrale Netz entlasten.
Auch viele Smart-Living-Konzepte und KI-Anwendungen sind wertvoll für den Klimaschutz, weil sie den Ausstieg aus fossilen Energien und das Energiesparen erleichtern. Das gilt übrigens für alle Technologien und Prozesse: Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind das A und O im globalen Klimaschutz!
Nachhaltigkeit hat im Wettbewerb zwischen Unternehmen oft nur eine geringere Bedeutung in der Strategieentwicklung. Warum sich dies Ihrer Meinung nach ändern?
Gerade wer im Wettbewerb steht, sollte erkennen, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz enorme wirtschaftliche Chancen und Vorteile schaffen. Wer zu lange an fossilen Geschäftsmodellen festhält, gefährdet nicht nur die Versorgungssicherheit der gesamten Volkswirtschaft, sondern führt das eigene Unternehmen an den Rand seiner Existenz. Das sehen wir doch derzeit in größter Deutlichkeit. Der schreckliche fossile Energiekrieg ist hoffentlich der letzte Weckruf für Unternehmen, sich von fossilen Energien zu verabschieden und Nachhaltigkeit zur zentralen Maßgabe für das eigene Handeln zu machen. Nicht irgendwann in Zukunft, sondern jetzt. Nachhaltige, auf Klimaschutz und erneuerbaren Energien basierende Geschäftsmodelle sind immun gegenüber geopolitischen Krisen. Sie stärken zudem die Wirtschaft dauerhaft.
Mit Digitalisierung können Prozesse optimiert und dadurch Kosten gesenkt werden. Durch die damit einhergehenden Preissenkungen werden mehr Produkte und Dienstleistungen erworben und die ursprünglichen Einsparungen sind wieder dahin. Wie lassen sich solche Rebound-Effekte in den Griff bekommen?
Rebound-Effekte entstehen nur durch fehlende oder falsche Rahmenbedingungen.
Beispielsweise schafft eine vollständige Elektrifizierung aller Bereichen – sei es durch den Einsatz von Wärmepumpen im Gebäudebereich oder durch Elektromobilität – praktisch automatisch eine vollständige Effizienz und vermeidet Energieverschwendung, wenn sie per Gesetz auf erneuerbaren Energien basieren muss. Damit das funktioniert, braucht es aber wirklich eindeutige Regularien. Ermöglicht hingegen eine falsch interpretierte „Technologieoffenheit“ die Nutzung von Wasserstoff oder E-Fuels grundsätzlich und nicht nur in unabdingbaren Ausnahmesituationen, dann werden wir krasse Rebound-Effekte erleben.
Apropos E-Fuels, gerne auch als „Future Fuels“ bezeichnet: Das erträumte „neue Öl“ ist mit sehr geringen Wirkungsgraden verbunden und muss entsprechend aufwendig und energieintensiv hergestellt werden. Sein Einsatz ist also keineswegs die Lösung aller Probleme, auch wenn dies oft anders dargestellt wird. Solche Fehlentwicklungen lassen sich durch geeignete Rahmenbedingungen vermeiden, etwa indem man Ökostrom nicht durch unnötige Umlagen oder Abgaben belastet und vor allem kostenverzerrende Subventionen für fossile Energien und Technologien abschafft. Kostenwahrheit schafft echten Wettbewerb – und in diesem werden erneuerbare Energie und Energieeffizienz locker gewinnen!
Zum Abschluss Ihre Einschätzung: Wie kann die Digitalisierung zu einer echten Chance für den Klimaschutz werden?
Sie kann nicht zur echten Chance werden, sie ist es schon! Klimaschutz und Digitalisierung sind praktisch das Dream-Team der Energiewende! Digitalisierung ist die zentrale Komponente für effektiven Klimaschutz. Die Digitalisierung ermöglicht nicht nur die konsequente Energie-, Verkehrs- und Wärmewende, sondern schafft zudem enorme wirtschaftliche Chancen, technologischen Fortschritt und zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Und wie? Einfach, indem wir beides zusammendenken und mutig handeln. Erfolg kommt von Machen!
Zur Person:
Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Sie positioniert sich seit Mitte der 1990er-Jahre öffentlich zu den Themen Klimaschutz und Kosten des Klimawandels.